Tempus fugit!
Im Jahr 2000 also vor fast 21 Jahren hatte ich mein Studium an der Fachhochschule Dortmund im Studiengang Sozialarbeit beendet. Im Studium, welches ich 1995 begann, kam ich in der Fachbereichsbibliothek und auch während der Teilnahme an recht niedrigschwelligen Medienpädagogik-Seminaren mit solch Titeln wie „Vom Plakat zum Computer“ (Spiegel/Wortmann) erstmalig mit dem PC als Arbeitsgerät und dem Internet als schier unerschöpfliche Quelle von Informationen in Kontakt.
Bereits seit meiner frühen Jugend Mitte der 80er Jahre faszinieren mich Computerspiele. Bewegte, künstlich erzeugte Bilder, dazu coole Musik, das war für mich damals der Stoff aus dem die Träume sind. Da meine Eltern nicht über die finanziellen Mittel verfügten, mussten ich und meine Kumpels damals auf Alternativen ausweichen, weshalb der Automat in der Pommesbude oder der C64 bei Vobis an der Hamburger Straße (kennt den Laden noch jemand?) unsere besten Buddies wurden.
Mit kopierten/ gecrackten Spielen auf 5 1/4 Zoll-Disketten haben wir damals Stunden dort verbracht, so stark war die Anziehungskraft, welche diese Welt auf uns ausübte. Man ließ uns gewähren.
Ich selbst verfügte zu Beginn der Studienzeit über kein Endgerät, hatte aber gelegentlich die Möglichkeit, bei meinem besten Freund auf einem 386er die Funktionsweisen des PCs kennenzulernen, wobei natürlich auch hier ersteinmal Spiele (X-Wing vs. Tie Fighter) im Fokus der Auseinandersetzung standen 🙂
Es dauerte bis 1998, bis ich meinen ersten eigenen PC, ebenfalls einen 386er mein eigen nennen durfte. Das Gerät fand seinen Einsatz für die Uni-Hausarbeiten und Recherchen im Netz, die damals über Modem noch unendlich lange dauerten und so Anbieter wie AOL oder auch die Telekom mit Wucher-Nutzungsgebühren von 10 D-Mark die Stunde in Vorflatrate-Zeiten reich(er) machten (hatten die Steuerzahler*innen nicht bereits die Datenleitungen bezahlt?).
Die Erinnerungen an diese Tage sind für mich bis heute und auf ewig mit dem Geruch von Räucherstäbchen und dem Album Mechanical Animals von Marilyn Manson verbunden, welches ich gerade höre, während ich diese Zeilen schreibe.
In nur kurzer Zeit hatten sich Computer und Internet, die ich für mich als großen Autonomie-, Emanzipations- und Partizipationsgewinn wahrnahm, ihren festen Platz in meinem Leben erobert. Was lag da näher, als sich auch in der Diplomarbeit auf die eine oder andere Weise mit dem Thema auseinanderzusetzen? Ich hatte mir zunächst überlegt, etwas über Internetsucht zu schreiben. Klar war, dass bei der Faszination, welche die digitale Welt auf uns Nutzer ausübte, es für den einen oder anderen sicher schwierig sein musste, sich wieder zurück in die „reale“ Welt zu begeben.
Wenn man implizierte, dass sich die Neigungen mancher Menschen zu Verdrängung und Eskapismus auch in der virtuellen Welt wiederfinden würden und Sogkraft (Suchtpotential mal positiv ausgedrückt) und Flow-Erleben mancher Online-Erfahrungen (Spiele, Chats) uns förmlich in diese Welt hineinzogen und uns in ihr gefangen hielten, schien das gar nicht so abwegig zu sein.
Nun gab es leider zur damaligen Zeit nur spärlich bis gar keine wissenschaftliche Literatur zum Thema, so dass sich neben meine ohnehin früher sehr stark ausgeprägte Prüfungsangst gepaart mit Perfektionismus auch noch der Zweifel hinzugesellte, mit der Themenwahl komplett ins Klo gegriffen zu haben. Einen gescheiterten Versuch später (die Diplomarbeit hatte ich gar nicht erst eingereicht) kam ich zu der Einsicht, das Thema erweitern zu müssen.
„Auf dem Weg in die Generation@ – Kinder- und Jugendarbeit im Zeitalter von Multimedia – eine Annährung“, so hatte ich den Titel meiner Diplomarbeit genannt, in welcher ich mich mit der Entstehungsgeschichte des Internets, den Besonderheiten der netzbasierten Kommunikation und Themen wie Jugendmedienschutz im Internet auseinandergesetzt habe.
An Literatur mangelte es hier nicht, wenn auch die Begleitumstände der Fertigstellung sich ähnlich schwierig gestalteten und meine Eltern, bei denen ich damals noch lebte, mich sicherlich gerne vor die Tür gesetzt hätten. 😀
Dieses Mal lief allerdings alles glatt, die Arbeit und auch das anschließende Kolloquium waren ein voller Erfolg.
Es folgten Anerkennungsjahr und der erste Job, der mich – als Medienprojekt getarnt – in die mir damals fremde Welt der Jugendberufshilfe durch Maßnahmedschungel und die Trägerlandschaften von Agenturia (in Anleihe an die Wortschöpfung unseres ehemaligen Classcraft-Beauftragten) führte.
Im Rahmen eines Modellprojektes an Bord eines zum mobilen Internetcafé ausgebauten VW-Busses fuhren wir damals im Auftrag meines ersten Arbeitsgebers (R.I.P. Jugendheimstättenwerk e.V.) und der Agentur für Arbeit quer durch den Kreis Unna. Dort kümmerten wir uns in Form niederschwellig-aufsuchender Arbeit um die Jugendlichen im Quartier, die von der örtlichen Berufsberatung nicht erreicht werden konnten.
Ich erinnere mich auf jeden Fall noch sehr gut daran, wie wir vor dem örtlichen JUZ in Unna-Königsborn ISDN-Kabel in die Einrichtung verlegten, um uns an die Datenautobahn anzuschließen…
Angekommen in der Generation @
Mittlerweile sind die Grenzen zwischen virtuellen und realen Räumen fließend. Der Computer und das Netz sind für die meisten Menschen auf der Welt zur Normalität geworden und haben – genauso wie die Arbeit aus dem Büro – ihren Weg in die Haushalte der Menschen gefunden.
Anwendungen erleben mittlerweile ihre x-te Revision und Weiterentwicklung und mit dem Smartphone ist die Anbindung an den Datenstrom auch im hinterletzten (wenn auch ärmsten) Loch auf diesem Erdball vollzogen.
Manchmal frage ich mich allerdings, warum es – vielleicht ist das ein deutsches Phänomen – immer so lange dauert, bis die Technik auch in anderen Kontexten akzeptiert und adaptiert wird.
Ist das ein altersabhängiges Phänomen oder scheuen wir uns alle bloß vor allzu großen Veränderungen?
Nehmen wir doch mal das Thema Homeoffice oder Mobiles Arbeiten, wie das hier auf der Arbeit so schön genannt wird.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass den Arbeitsnehmer*innen von Arbeitgeberseite oft misstraut wird und immer latent der Verdacht mitschwingt, man würde sich zuhause die E*er schaukeln… Mitnichten ist dies der Fall. Würde da ein wenig mutiger agiert, dann könnten wir m.E. auch ganz anders mit den aktuellen Herausforderungen unserer Zeit umgehen. Man denke nur an die Reduzierung der Kontakte in Pandemiezeiten, nicht unbedeutende CO2-Einsparungen (z.B. mal Homeoffice und CO2-Bilanz googeln) und zu guter Letzt auch all den Stress, den wir uns im täglichen Pendelwahnsinn ersparen könnten… Dabei bleibt natürlich auch mir nicht verborgen, dass mit dem Arbeiten zuhause gewisse rechtliche, ökologische (z.B. Öko-Bilanz von Homeoffice) und gesundheitliche Fragestellungen verbunden sind, die es zu beachten gilt. Und trotzdem wäre ein wenig mehr Pragmatismus toll… Die Corona-Krise befördert, nachdem wir die Schockstarre des ersten Lockdowns in 2020 überwunden haben, aktuell die Digitalisierungsprozesse im Unternehmen. Nicht erst mit den Kick-Off- Veranstaltungen unseres Digitalisierungsprojektes hat sich z.B. bei uns im Projekt eine umfangreiche Digitalisierung des Maßnahmeangebotes vollzogen. Digitaler und sozialpädagogischer Unterricht in Form von Videokonferenzen auf Überaus, Beratungen und auch Schulungen werden im Projekt mittlerweile online angeboten und von der Mehrzahl unserer Teilnehmer*innen auch gut angenommen. Auch wenn Zusammenkünfte in digitalen Lernumgebungen nicht die einzige, im Moment aber die einzig vernünftige Form der Zusammenkunft mit unseren Kundinnen in Corona-Zeiten zu sein scheint… Dem Gros unserer TN scheint die virtuelle Begegnung in vertrauter heimischer Umgebung durchaus entgegen zu kommen. Unser Angebot wird angenommen. Erste Schritte sind also getan, auch wenn aus technischer Sicht oft noch Improvisationsvermögen a lá McGuyver gefordert ist, welches immer mit einem gewissen zeitlichen Aufwand zu Lasten der Produktivität einhergeht. Hier wäre es m.E. wichtig, nicht an Ausstattung, insbesondere nicht an Bandbreite zu sparen, weil wir uns sonst (im Sinne eines verlässlichen Schulungs –, Qualifizierungs- und Beratungsangebots für unsere Kundinnen) weder als digitale Vorzeigemaßnahme mit Modellcharakter noch als moderner Bildungspartner nach außen hin glaubhaft und professionell darstellen können. Auch wenn hier am Standort […] schon einiges in den letzten zwei Jahren passiert ist… Das können wir noch besser!
Aber hey! Wir sind auf dem Weg! Einschränkungen fördern auf der anderen Seite die Kreativität und es ist jeden Tag aufs Neue schön mit anzusehen, mit welcher Flexibilität und Kreativität die Kolleg*innen trotz widriger Bedingungen ihren Job machen.
Und den machen Sie gut!
Gleiches, was ich oben in Bezug auf die Internetbandbreite gesagt habe, sollte analog für die Wahl eingesetzter Softwareprodukte gelten. Diese müssen zum einen den Ansprüchen an Datensicherheit und –schutz Rechnung tragen, um Datenschutzverstöße und damit Risiken für das Unternehmen zu minimieren, zum anderen aber auch den Anforderungen an die Funktionalität (Qualität der Übertragung, Funktionsumfang , Tools wie Whiteboard, Umfrage etc.) standhalten…
Zu guter Letzt noch ein mir sehr wichtiger Punkt…
Wir sollten (digitale) Medienkompetenz nicht nur stark verkürzt als Nutzungskompetenz betrachten.
Vielmehr sollten wir uns als sozialer Bildungsträger Gedanken darüber machen, wie wir die diversen Aspekte der Mediennutzung in unserer alltägliche Arbeit mit den Jugendlichen einbinden und den bewussten Einsatz von Medien als Instrument der Selbsterfahrung und Teilhabe an individuellen Entwicklungs- und gesellschaftspolitischen Prozessen fördern wollen…
Ich für meinen Teil bin auf jeden Fall sehr gespannt, wie wir uns weiterentwickeln werden.
Dortmund im Februar 2021
Olaf Siebert
Dipl.-Sozialarbeiter
Anmerkung des Autors: Es handelt sich hier sowohl bei der Überschrift als auch dem Text selbt um eine leicht abgewandelte Version des Artikels, den ich meinem Arbeitgeber im März 2021 als Artikel für die AWO-Profil schmackhaft machen wollte.
Die Änderungen habe ich farblich markiert.